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Wien, am 15.02.2016

40 Jahre Jagdverbot im Kanton Genf – eine Bestandsaufnahme

Welche Auswirkungen hat das Jagdverbot, das im Kanton Genf seit 1974 gilt? Seither gibt es dort keine Jagd mehr, aber ein professionelles Wildtiermanagement.

Kommen wir ohne die Jagd aus oder nicht? Wie oft hören wir, dass die Populationen vieler Wildtiere, oder zumindest der Paarhufer, reguliert werden müssen, weil sie sonst überhand nehmen. Fehlen Luchs, Wolf und Bär? Oder bedeutet das Überhandnehmen lediglich einen Profitverlust für Forst- und Landwirtschaft? Oder ist es tatsächlich auch für die betroffenen Tiere und/oder ihr Ökosystem besser, wenn Menschen regulierend eingreifen? Zahlen und Fakten als Antwort auf diese Fragen zu finden ist sehr schwer. Niemand hat dazu ein ausreichend umfassendes Experiment durchgeführt. Jene winzigen Regionen in Österreich, in denen nicht gejagt wird, sind so mit bejagten Revieren verzahnt und verflochten, dass man nicht sagen kann, was passieren würde, wenn es tatsächlich völlig ungeregelte Populationen von Paarhufern ohne Fütterungen gäbe.

Mit einer Ausnahme. Im Kanton Genf in der Schweiz war Anfang der 1970er Jahre der Missstand bei der Jagd extrem. Das Großwild war praktisch völlig ausgerottet, Hirsche und Wildschweine wurden schon seit einiger Zeit nicht mehr gesichtet, und Rehe sollen noch etwa 30 gelebt haben. Dabei sprechen wir von 280 km², also 28.000 ha, d.h. eine Fläche 12 Mal so groß wie der Lainzer Tiergarten, mit 500.000 menschlichen EinwohnerInnen. Fasane, Rebhühner und Hasen setzten die etwa 300 JägerInnen massiv für die Jagd aus. 3 AktivistInnen packten die Chance beim Schopf und erreichten bei unserem direkt demokratisch organisierten Nachbarn am 19. Mai 1974 eine Volksabstimmung über die Jagd. 30 % der BewohnerInnen beteiligten sich, 69 % davon stimmten für ein absolutes Jagdverbot, das sofort in Kraft trat. Seitdem gibt es keine Jagd mehr, aber ein professionelles Wildtiermanagement. Dem Tiroler Landesjägermeister Larcher läufts bei dieser Vorstellung „kalt den Buckel hinunter“, wie er sagte. Als TierschützerIn kann man darin eine sehr positive Entwicklung sehen. In jedem Fall haben wir nun 41 Jahre Erfahrung mit einer Region ohne Jagd zur Verfügung.

Rückkehr der Wildtiere ohne Jagd

Faunainspektor Gottlieb Dandliker sieht eine sehr positive Entwicklung für die Tierwelt durch das Jagdverbot. Die Population von anfangs 300 Vögeln hat sich auf 30.000 allein als Wintergäste gesteigert. Heute gibt es international bewunderte Reservate für diese Tiere in Genf. Raubtiere, aber auch Hirsche und Wildschweine, sind zurückgekehrt. Das Management der Wildtiere, um den Schaden für die Landwirtschaft gering zu halten, wird durch eine staatliche Naturschutzstelle durchgeführt und von einer Kommission kontrolliert. Bei Wildschäden werden die Betroffenen entschädigt.

Zu den konkreten Maßnahmen der Schadensprävention zählen Elektrozäune, die sich für Schwarzwild als sehr effektiv erwiesen haben. Eine Apparatur, die Alarmtöne ausstößt, wenn Rehe kommen, war nur ein Teilerfolg. Anfangs wurde versucht, die Hasenpopulation durch Tötung zu regulieren, aber davon kam man letztlich ab, eine Reduktion war dadurch nicht möglich.

Regulation von Wildtierpopulationen

Als Faunainspektor ist Dandliker für die Regulation der Wildtierpopulationen zuständig. Für die meisten Arten sei kein Eingriff nötig, resümiert er, wie z.B. für Enten, Tauben, Krähen, Dachse, Füchse, Hasen und Rehe. Da werde lediglich gegen einzelne Spezialisten vorgegangen, die eine besondere Findigkeit und Penetranz entwickeln, um an Feldfrüchte zu kommen.

Die Rehpopulation ist auf 10-15 Tiere pro km² Wald angewachsen, gezählt werde mit Fotofallen, es gebe wenige Schäden in den Eichenwäldern, die hier vorherrschen.

Das Rotwild befinde sich noch immer in der Kolonisationsphase, mittelfristig könne eine Regulation notwendig werden. Die ersten Tiere seien erst im Jahr 2000 eingewandert, zunächst nur im Winter. Jetzt gebe es 2-3 Tiere pro km². Allerdings muss hier einbezogen werden, dass in den Nachbarländern sehr wohl gejagt wird, dadurch stelle sich ein gewisser „Reservateffekt“ ein. Rehe würden nur sehr lokal leben und nicht wandern, Wildschweine bewegen sich 2-3 km über die Grenze herein, aber bei Hirschen sei dieser Effekt am deutlichsten zu merken. Diese wandern mehr als 10 km vom Ausland in den Kanton hinein. Interessant sei dabei, so Dandliker, dass die Hirsche vor der Jagd in Frankreich flüchten, obwohl die Störung durch FreizeitsportlerInnen in Genf wesentlich höher ist. Die Jagd wird für die Tiere also viel stärker als Stress empfunden.

Nur bei der Schwarzwildpopulation wird regelmäßig regulierend eingegriffen. In den letzten 15 Jahren seien zu Spitzenzeiten bis zu 12 Wildschweine pro km² beobachtet worden, heute seien es lediglich 2-5 Tiere pro km².

Die Regulationsmethode

Das Wildtiermanagement wird ausschließlich durch Profis durchgeführt, es werden keine Abschüsse verkauft. Man setzt möglichst viel an technischen Hilfsmitteln ein, um effizient zu sein und Tierleid weitgehend zu vermeiden. So gibt es GSM-Fotofallen, die den Ranger telefonisch informieren, wenn ein gewisses Tier zum Kirrplatz kommt. Dort wird es in der Nacht mit Lichtverstärker am Gewehr getötet. Man habe dabei einen hohen Tierschutzanspruch und möchte eine Gefährdung der Bevölkerung ausschließen. Die Zusammenarbeit mit den Tierschutzorganisationen funktioniere vorzüglich, die Jägerschaft stehe dem Projekt dagegen noch immer feindlich gegenüber. Für Letztere sei es Tierschutz, wenn das Tier eine Chance zu entkommen hat, und wenn die Mittel zum Abschuss „fair“ sind. TierschützerInnen sagen stattdessen, dass wenn ein Abschuss notwendig ist, dieser möglichst kurz, sicher und schmerzlos erfolgen sollte.

Der geplante Abschuss von Tieren wird bei der Kommission beantragt. Stimmt diese zu, dann lockt man die Tiere in der Nacht an einen Kirrplatz im Wald. Es gibt keine Fütterungen für die Wildtiere, um sie zu ernähren. Für die Kirrung verwendet man nur sehr kleine Futtermengen zum Anlocken der Tiere. Niemals würden große Eber oder führende Bachen getötet. Der Schuss sei nur unter besten Bedingungen zulässig. Es gebe dadurch praktisch nie verletzte Tiere.

Bei der Regulation versuche man, so Dandliker, Raubtiere zu simulieren. D.h. es werden keine großen Tiere geschossen, sodass sich stabile Rotten mit großen Ebern ergeben. Die Trophäen spielen überhaupt keine Rolle und werden nicht verwendet. Das Ziel sei eine jährliche Reduktion auf maximal 3-4 Tiere pro km². Insgesamt werden etwa 150 Tiere pro Jahr geschossen, mit einem Zeitaufwand von 6 Stunden pro Tier, sodass eine Vollzeitstelle für die Regulation genügt. Das Wildbret wird an die Bevölkerung verkauft, dafür gebe es eine rege Nachfrage.

Zur Kostenfrage

Die Wildschäden für die Landwirtschaft seien praktisch unbedeutend, meint Dandliker. Der Kanton gebe 200.000 Franken pro Jahr für Prävention aus, dazu 300.000 Franken pro Jahr für Wildschäden, wofür mehrheitlich die Tauben verantwortlich seien. Insgesamt müsse der Kanton 1,2 Millionen Franken pro Jahr für das Wildtiermanagement aufbringen, das entspreche 1 Tasse Kaffee pro EinwohnerIn pro Jahr, oder einer Subvention der Landwirtschaft von 3 %. Im Vergleich dazu würde die Fischerei wesentlich mehr Kosten verschlingen, obwohl da Lizenzen verkauft werden. Dandliker sieht daher die momentane Methode als die billigste Alternative für den Kanton und sehr leicht auf lange Sicht finanziell tragbar.

Die Zukunft

Im Jahr 2005 brachten die JägerInnen die Wiedereinführung der Jagd in gemäßigter Form zur Volksabstimmung, doch 90 % sprachen sich für ein Beibehalten des Jagdverbots aus. Allerdings wussten bei einer Umfrage 50 % der BewohnerInnen des Kantons Genf gar nicht, dass dort die Jagd überhaupt verboten ist. Im Jahr 2009 kam es im Kantonsparlament zu einer Abstimmung über die Wiedereinführung der Jagd, was aber mit 70:7 Stimmen abgelehnt wurde.

Interessant sei, so Dandliker, dass die Fluchtdistanz der Wildtiere zum Menschen ohne Jagd sehr klein ist. Die Tiere spüren also deutlich, dass ihnen keine Gefahr droht, und werden entsprechend durch FreizeitsportlerInnen nicht gestresst. Nur, wenn in Frankreich die Jagdsaison läuft und einige geflüchtete Paarhufer sich im Kanton Genf einfinden, steigt die Vorsicht gegenüber Menschen etwas an.

Die Befürchtung, dass die frei lebenden Wildschweine Wanderern mit Hunden gefährlich würden, hat sich als falsch erwiesen. Laut Dandliker sei kein einziger Fall eines Angriffs von Wildschweinen bekannt. Und die in Österreich grassierende Schweinekrankheit ist in Genf ebenfalls nicht vorhanden.

Dandliker ist jedenfalls der Ansicht, dass das Jagdverbot im Kanton Genf eine Erfolgsstory sei. Möglicherweise würde die Regulation sogar geringer oder völlig unnötig, wenn in Zukunft Luchs und Wolf eine Hilfestellung bieten.

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